Ob Serien-Streaming, Suchmaschinen-Anfrage oder Videokonferenz: Die digitale Welt braucht nicht nur leistungsfähige Daten- sondern auch Stromnetze. Die Syna sorgt im Raum Frankfurt dafür, dass der Digitalisierung nicht die Energie ausgeht.
Wenn Tim Pfüller in Richtung Osten aus dem Fenster schaut, bietet sich ihm ein beeindruckender Anblick: Direkt vor dem Gebäude der Syna fließt der Main in einer sanften Schleife durch die Landschaft, am gegenüberliegenden Ufer hat ein gutes Dutzend kleiner Yachten festgemacht. Über die Bäume am Ufer hinweg fällt der Blick des Netzingenieurs auf die Skyline der Frankfurter Innenstadt.
Außerdem Teil der Szenerie: Strommasten mit 110-Kilovolt-Freileitungen, die sich vom Standort der Süwag-Tochter in Frankfurt-Höchst auf den Weg in Richtung Oberursel machen. Auf zwei Dritteln der Strecke tragen die Masten vier Stromsysteme, auf einem Drittel jedoch nur zwei. „Und wo weniger Leitungen hängen, wird natürlich auch weniger Energie transportiert“, so Tim Pfüller. Gleichzeitig steigt gerade in dieser Gegend die Nachfrage nach Strom enorm an: „Eschborn-Sossenheim zum Beispiel ist ein wichtiger Standort für Rechenzentren. Und die brauchen jede Menge Strom.“

Was nur wenige wissen: Der Raum Frankfurt ist, gemessen am Datendurchsatz, der größte Datenknotenpunkt – weltweit. „Und der Ausbau der Rechenzentren schreitet in einem enormen Tempo fort“, weiß Tim Pfüller. Denn in fast allen Lebensbereichen spielen Daten eine immer größere Rolle: vom Serien-Streaming über Online-Handel und Cloud-Computing bis hin zu Videokonferenzen und Online-Softwarenutzung.
Aktuell bewältigt das Stromnetz der Syna in der Region Frankfurt 600 bis 700 Megawatt Leistung. „Wir gehen davon aus, dass bis 2030 noch einmal 1.000 bis 1.500 Megawatt hinzukommen werden“, prognostiziert Pfüller. Ein Großteil dieses Zuwachses entfalle auf die Leistungsbedarfe der Rechenzentren.
„Ein wenig hilft die Tatsache, dass die Stromnetze in der Vergangenheit grundsätzlich mit einer deutlichen Reserve für künftige Anforderungen dimensioniert wurden“, erläutert Pfüller. „Man ging bei der Planung immer vom ,worst case‘ aus: Alle Haushalte schalten gleichzeitig alle Geräte an, alle Unternehmen ihre Maschinen – und dann fällt auch noch ein Betriebsmittel aus, zum Beispiel eine Leitung. Das Netz ist so ausgelegt, dass selbst in diesem unwahrscheinlichen Fall nirgends ein Engpass oder eine unzulässige Überlastung entsteht.“

Heutzutage wird realitätsnäher geplant. Auch aus Nachhaltigkeits- und Kostengründen, denn die Schaffung neuer Netzkapazitäten kostet viel Geld – und das schlägt sich am Ende im Strompreis nieder. Netzbetreiber wie die Syna schauen sich daher genau an, wie wahrscheinlich welche Lastflüsse sind und legen das Netz auf praxisnahe Strommengen aus. Einfach ausgedrückt: Man versucht, bestehende Netzkapazitäten bestmöglich auszunutzen und bei der Schaffung neuer Kapazitäten nicht unnötig Luft nach oben zu lassen. Diesem Vorgehen dient auch eine intelligente Netzsteuerung (siehe „digiONS: Intelligenz im Netz“). „Aber angesichts der gewaltigen Leistungszuwächse reichen die bisherigen Puffer natürlich nicht aus. Wir müssen das Netz an vielen Stellen gezielt und umfangreich ausbauen. Auch die Leistungskapazitäten aus dem vorgelagerten Übertragungsnetz, aus dem Syna seine Leistung bezieht, werden in der Zukunft nicht ausreichen“, so Tim Pfüller.

Die Süwag investiert massiv in den Ausbau der Stromnetze. Welche Bedeutung hat das für den Wirtschaftsstandort?
O-Ton Dr. Markus Coenen
Es gibt oft großen Gesprächs- und Aufklärungsbedarf.
Der Ausbau der Netze kann auf verschiedene Arten erfolgen. Am wenigsten aufwändig ist der Austausch alter Freileitungen durch neue sogenannte Hochtemperaturleiterseile, die größere Strommengen transportieren können als ihre Vorgänger. „Darüber hinaus können wir natürlich weitere Systeme hinzubauen“, sagt Tim Pfüller. „Dafür müssen wir in der Regel Masten ersetzen, sodass sie mehr Seile auf der gleichen Trasse tragen können.“ Beide Methoden – Austausch alter und Ergänzung weiterer Leitungen – kommen auch beim Ausbau der Trasse zwischen Höchst und Oberursel zum Einsatz.
Einem solchen Ausbau geht grundsätzlich ein Genehmigungsverfahren voraus. „Für einen Ersatzneubau wie im Frankfurter Westen läuft das in der Regel relativ problemlos“, so die Erfahrung von Henning Sprenger von der Netzentwicklungsplanung der Syna. Schwieriger wird es mitunter, wenn ganz neue Trassen benötigt werden: „Da gibt es oft sehr großen Gesprächs- und Aufklärungsbedarf, weil Menschen vor Ort Bedenken und Ängste haben.“ Speziell Hochspannungsmasten und Freileitungen erfreuen sich keiner großen Beliebtheit.

„Bevor ein solches Projekt ins Genehmigungsverfahren geht, werden die Menschen vor Ort grundsätzlich beteiligt“, sagt Henning Sprenger. „Dann mieten wir zum Beispiel ein Bürgerhaus an und laden zu einer Informationsveranstaltung ein. Während der Coronapandemie haben wir auch digitale Bürgersprechstunden angeboten, um einen Dialog auf diesem Wege zu ermöglichen.“
Bei einem geplanten Neubauprojekt zur Herstellung einer wichtigen Verbindung nach Wiesbaden war der Gesprächsbedarf besonders groß. Die Stadt hatte sich an die Syna gewendet, um durch Verknüpfung mit dem Netz der Syna zukünftige Netzengpässe in Wiesbaden zu beheben. Da nahegelegene Kraftwerkskapazitäten in Zukunft wegfallen, musste ein komplett neues Netzkonzept entwickelt werden, um die Stadt Wiesbaden mit Energie zu versorgen. Ein Baustein davon ist eine Stromleitung, für die eine neue Trasse durch fünf Wiesbadener Stadtteile benötigt wird.
Im Rahmen der Bürgerbeteiligung gründeten sich zwei Bürgerinitiativen, zahlreiche Gespräche wurden geführt, gemeinsame Ortsbegehungen in allen betroffenen Stadtteilen anberaumt. Am Ende stand ein Kompromiss, der den Anliegen der Betroffenen gerecht wird, aber auch die anderen Schutzgüter sachgerecht berücksichtigt: Statt fünf Kilometern Freileitung wird jetzt die Hälfte der Trasse als Kabel, also unterirdisch, realisiert. „Dabei muss man wissen, dass ein unterirdischer Trassenkilometer etwa fünfmal so teuer ist wie ein Kilometer Freileitung“, erläutert Sprenger. „Noch dazu ist die Freileitung zwar nicht so schön anzusehen, aber deutlich umweltverträglicher zu realisieren als das Erdkabel. Denn der Eingriff in die Umwelt – Erdboden, Gewässerläufe und damit auch Lebensraum von Tieren und Pflanzen – ist bei einer solchen Baumaßnahme auf der gesamten Strecke erheblich.“
Der runderneuerte Leitungsabschnitt im Frankfurter Westen hingegen wird auch weiterhin komplett in luftiger Höhe verlaufen. Wenn das Genehmigungsverfahren wie geplant über die Bühne geht, kann der Bau im zweiten Halbjahr 2022 starten und 2023 fertiggestellt werden. Langeweile kommt bei der Syna aber auch danach nicht auf: Bis 2030 stehen insgesamt bis zu 30 Ausbauprojekte an – damit der Strom auch in Zukunft so verlässlich fließt wie das Wasser im Main vor der Haustür des Netzbetreibers.
digiONS: Intelligenz im Netz
Früher war die Stromversorgung eine vergleichsweise einfache Angelegenheit: Wenige große Kraftwerke produzierten die Energie, die vom Hoch- über das Mittel- und das Niederspannungsnetz in die Haushalte transportiert wurde. „Über das Niederspannungsnetz musste man nicht viel wissen“, erläutert Vanessa Schuller, die sich bei der Syna um die Netzentwicklungsplanung Strom kümmert. „Man hatte gute Erfahrungswerte, was zu welchen Zeiten an Strom abgenommen wird. Und da der Strom immer nur in eine Richtung floss, konnte man die Netze gut auf den Bedarf auslegen.“
Das hat sich grundlegend geändert: Schließen die Hausbewohner*innen ihr Elektroauto abends an ihre Ladebox an, wird plötzlich sehr viel Strom abgenommen. Auch die immer beliebteren Wärmepumpen sowie Klimaanlagen verändern das Nutzungsprofil. Dazu kommt, dass viele Haushalte heute auch Stromerzeuger sind: Sie verbrauchen nicht nur Strom, sondern erzeugen ihn häufig auch mit einer eigenen Photovoltaikanlage und speisen ihn zum Teil ins Netz ein.
„Aus all diesen Gründen brauchen wir heute viel mehr Flexibilität im Netz und die Netze werden anders verwendet, als wofür sie in der Vergangenheit gebaut wurden“, sagt Vanessa Schuller. „Und dafür müssen wir mehr über die Situation in den Netzen wissen.“ Die nötigen Informationen hierfür liefern unter anderem digitale Ortsnetzstationen (digiONS). Ortnetzstationen sind die „Trafohäuschen“, die seit je her am Wegesrand stehen. Dort wird der Strom aus dem Mittelspannungsnetz ins Niederspannungsnetz verteilt, an dem die einzelnen Verbrauchsstellen angeschlossen sind und über das sie ihren Strom beziehen. Ausgestattet mit digitaler Technologie werden sie „intelligent“ gemacht, mit Messtechnik ausgestattet und mit Schaltmöglichkeiten, um auf unvorhergesehene Ereignisse mit Umschaltmaßnahmen reagieren zu können.
Die digiONS messen an jedem der sieben bis elf Kabelstränge, die von hier aus in die einzelnen Straßenzüge abgehen, was an Strom raus- und reinfließt. So stehen jederzeit detaillierte Lastprofile zur Verfügung, die künftig eine bessere Netznutzung und Netzplanung ermöglichen. Auch Störungen können mithilfe der digiONS viel schneller behoben werden: „Bisher musste immer jemand von uns rausfahren und die Schalthandlungen in der Station händisch erledigen, um eine Störung zu beseitigen“, so Schuller. „Eine digiONS kann aus der Ferne geschaltet werden. Das spart sehr viel Zeit und erhöht so die Netzsicherheit erheblich.“
Rund ein Drittel der Ortsnetzstationen will die Syna bis 2026 „intelligent“ machen. Ein umfängliches Vorhaben – und zugleich ein wichtiger Baustein für die Energiewelt der Zukunft. So wird der Ausbau von Elektromobilität und erneuerbaren Energie in den Verteilnetzen möglich gemacht!
Fotos: SeitenPlan/Sascha Kreklau, Video: SeitenPlan/Sascha Kreklau