Energiewende – das bedeutet auch: Elektrifizierung vieler Bereiche und eine nie gekannte Komplexität des Energiesystems. Die Süwag-Tochter Syna macht ihre Netze daher fit für die Anforderungen der Zukunft.
Wer die Süwag-Zentrale in Frankfurt-Höchst besucht, erreicht mit wenigen Schritten noch eine „Zentrale“ ganz anderer Art: Gleich nebenan steht nämlich ein Umspannwerk. Der Strom, der hier aus dem überregionalen Netz ankommt, wird von Hoch- auf Mittelspannung transformiert und in verschiedene Himmelsrichtungen weitergeleitet. „Die Anlage übernimmt eine wichtige Verteilungsaufgabe in dieser Region“, erläutert Florian Kliemt. „Und ihre Leistung muss mit ihren künftigen Aufgaben wachsen. Daran arbeiten die Kollegen dort oben gerade.“ Er zeigt auf die Monteure, die in einigen Metern Höhe ein Bauteil einpassen.
Mit den Aufgaben wachsen – das beschreibt sehr gut auch die Herausforderung, der sich die Süwag-Netztochter in den kommenden Jahren stellen muss. „Die Syna befindet sich aktuell in der größten Wachstumsphase ihrer Geschichte“, bringt es Florian Kliemt auf den Punkt. Er verantwortet im Unternehmen den Bereich Planung, Bau und Betrieb von Hochspannungsanlagen und -leitungen. „Bis 2028 werden wir daher in den Ausbau und die Digitalisierung unserer Netze rund eine Milliarde Euro investieren.“
Stetig wachsende Strommengen
Warum ist das so? Ein kurzer Blick in die Vergangenheit schafft Klarheit. Denn in unserem Energiesystem ist heute fast nichts mehr, wie es einmal war. Noch in den 1990er-Jahren war die Stromversorgung eine recht überschaubare Sache: Wenige große Kraftwerke erzeugten die benötigte Energie. Vom Hoch- über das Mittel- und das Niederspannungsnetz wurde es in Haushalte und Unternehmen transportiert.
Und heute? Speisen auch Tausende Windkraft- und Millionen Solaranlagen Strom in die Netze ein. Viele Verbraucher sind zudem gleichzeitig Erzeuger, etwa das Einfamilienhaus mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach. Aus Gründen des Klimaschutzes werden außerdem vielerorts Öl und Gas durch Strom ersetzt, beim Auto und beim Heizen zum Beispiel. Und: Speziell im Rhein-Main-Gebiet benötigen immer mehr Rechenzentren gewaltige Mengen Strom. All das bedeutet: Durch die Netze müssen stark wachsende Strommengen fließen – und Einspeisung wie Abnahme schwanken stärker als je zuvor.
„Allein die zunehmende Elektrifizierung vieler Bereiche erfordert ganz anders dimensionierte Netze, als wir sie heute sehen“, weiß Florian Kliemt. Und er hat einige Zahlen parat, die eine Idee von der Größe der Aufgabe vermitteln: „Bis 2030 soll die Zahl der Wärmepumpen in Deutschland um mehr als das 6-Fache steigen, die der Ladepunkte für Elektroautos sogar um fast das 15-Fache.“ Zudem liegen der Syna aktuell Anfragen für den Anschluss neuer Rechenzentren in der Größenordnung vor, die dem Leistungsbedarf einer Großstadt entsprechen.
Auch auf der Erzeugerseite tut sich eine Menge: Allein 2023 sind bei der Syna Anträge für den Netzanschluss von rund 30.000 neuen Erzeugungsanlagen eingegangen. „Für 2030 rechnen wir mit dem Doppelten bis Dreifachen der heutigen Menge, die PV- und Windkraftanlagen einspeisen werden“, so der Experte. „Deshalb bauen wir schon heute am starken Netz der Zukunft.“
Das Netz muss intelligenter werden
Und so muss Florian Kliemt aktuell eine ganze Menge Baumaßnahmen im Blick haben: Neue Stromtrassen müssen errichtet werden, zum Beispiel in Frankfurt und in Wiesbaden. Auch die Leistung bestehender Trassen wird erhöht, etwa durch den Austausch von alten Leitungen gegen neue mit größerem Querschnitt oder gegen Hochtemperaturseile. Um die größeren Strommengen aufzunehmen, die durch diese Leitungen fließen, werden außerdem Umspannwerke wie die in Frankfurt-Höchst erweitert, vier bis fünf neue Umspannwerke werden bis 2028 ganz neu hinzukommen. „Wir brauchen speziell in der Region Rhein-Main eine ganze Reihe zusätzlicher Anlagen, um neue Großkunden zu versorgen, darunter die bereits erwähnten Rechenzentren sowie Industriebetriebe“, so Kliemt.
Hinzu kommt: Das Netz muss nicht nur stärker werden, sondern auch smarter. „Hier geht es vor allem darum, die Stromflüsse auf allen Ebenen transparenter zu machen“, erläutert Dennis Theis, Leiter Digitale Netztechnologien bei der Syna. „Wenn wir genau wissen, was wo passiert, können wir besser und schneller reagieren.“ (siehe „Investitionen in das smarte Netz“) Zum Beispiel, wenn eine Störung auftritt oder wenn irgendwo eine Überlastung des Netzes droht, weil zu viel Energie eingespeist oder abgerufen wird. „Mit steigendem Ökostromanteil wird die Produktion fluktuativer“, so Theis. „Und das wird zunehmend auch für die Verbräuche gelten, wenn immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen ans Netz gehen.“
Jahrhundert-Aufgabe Netzausbau
Wo so große Projektvolumina bewegt werden, geht nicht alles reibungslos über die Bühne. „Lange Genehmigungsverfahren machen uns natürlich zu schaffen“, berichtet Florian Kliemt. „Das neue ,Deutschlandtempo‘ ist noch nicht überall angekommen. Aber manche Dinge brauchen in einem Rechtsstaat eben auch ihre Zeit. Nur ein Beispiel: Allein für die geplante drei Kilometer lange Freileitungstrasse in Wiesbaden-Ost sind mehr als 600 Einwände eingegangen – jede einzelne müssen wir schriftlich beantworten.“
Eine weitere Herausforderung sei der Fachkräftemangel. Der mache der Syna ebenso zu schaffen wir ihren Dienstleistern. Florian Kliemt: „Alle müssen ihre Leistung hochfahren – und alle kämpfen um die gleichen knappen Ressourcen.“
Herausforderungen gibt es bei der Jahrhundert-Aufgabe Netzausbau also zur Genüge. Sie sind bei der Syna mit ihrer Erfahrung und ihrem Know-how in Bau und Betrieb von Netzen bestens aufgehoben. „Wir stellen uns der Aufgabe mit großem Engagement“, sagt Florian Kliemt. „Denn wir sind uns unserer Rolle beim Thema Energiewende sehr bewusst. Hier können wir ganz konkret zeigen, wie wir unseren Leitspruch ,Energie. Besser. Machen.‘ mit Leben füllen.“
Mit diesen Worten verabschiedet sich Kliemt. Er muss los, noch einmal auf der Baustelle nach dem Rechten sehen. Denn das runderneuerte Umspannwerk in Frankfurt-Höchst soll schon in diesem Jahr ihren vollen Betrieb aufnehmen.
Investitionen in das smarte Netz
Die Syna macht ihr Netz in vielen Bereichen intelligenter. Bereits seit einiger Zeit digitalisiert sie sukzessive ihre Ortsnetzstationen (ONS), landläufig „Trafohäuschen“ genannt. „Die neuen DigiONS übermitteln viele Daten, die wir auswerten können. Störungen können dann schneller behoben oder sogar verhindert werden, weil wir eine Überlastung schon im Vorfeld kommen sehen“, sagt der Syna-Digitalisierungsexperte Dennis Theis. „Außerdem helfen uns die Daten dabei, das Netz ganz präzise auf die jeweiligen Erfordernisse auszulegen.“
Schon 2026 sollen 30 Prozent der Ortsnetzstationen digitalisiert sein. Für viele weitere ist eine kleinere Lösung namens „Strombox“ vorgesehen. Sie wird in bestehende Stationen eingebaut und übermittelt Informationen über das sogenannte LoRaWAN-Funknetz. Auch Smart Meter, also digitale Stromzähler, liefern solche Daten. Bis 2032 werden alle Haushalte damit ausgestattet.
All diese Daten laufen in der Netzleitstelle zusammen – und auch hier tut sich etwas: Im Rahmen des Projektes eNet stellen alle Gesellschaften des E.ON-Konzerns auf ein einheitliches Netzleitsystem um. Mit dem neuen System werden die auflaufenden Daten noch besser nutzbar gemacht und die Netzsteuerung wird optimiert. „Da es sich um eine konzernweite Lösung handelt, können wir uns gegenseitig zudem besser unterstützen“, so Theis.
Um im Falle eines längeren Stromausfalls jederzeit kommunizieren zu können, wird die Syna darüber hinaus künftig auf das neue 450-Megahertz-Mobilfunknetz setzen, das speziell für Infrastrukturbetreiber aufgebaut wird. „Es funktioniert auch bei Stromausfall bis zu 72 Stunden lang weiter“, erläutert Theis. „Funktionierende Kommunikation ist essenziell, wenn wir mit Hochdruck daran arbeiten müssen, die Stromversorgung wieder herzustellen.“
All diese Maßnahmen laufen von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt im Hintergrund ab. Einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied hingegen macht das neue Einspeiserportal, das Ende 2022 an den Start gegangen ist: Wer hierüber eine neue Photovoltaikanlage anmeldet, bekommt nun spürbar schneller eine Rückmeldung, da die Syna viele Prozesse im Hintergrund automatisiert und darauf aufbauend optimiert hat. Ein weiterer neuer digitaler Service ist ebenfalls äußerst nützlich: Wer eine PV-Anlage plant, erfährt über den automatischen Netzanschluss-Check online direkt, ob die neue Anlage ohne Weiteres angeschlossen werden kann oder ob das Netz hierfür erst verstärkt werden muss oder wie der ideale Verlauf des Netzanschlusses aussehen kann.
Ein Großteil der Maßnahmen zur Smartifizierung zielen auf die Stromnetze. Doch auch im Gasnetz passiert etwas. So wird zum Beispiel mit der „Gasbox“ das Pendant zur „Strombox“ verbaut. Ihre Sensoren messen den Durchfluss und können damit Lecks frühzeitig erkennen.
Fotos: Sascha Kreklau, Syna; Video: Sascha Kreklau